Artur Rosenauer
2024
Josef Mikls „Arbeiten auf Papier“ (und Karton) kann man vor dem Hintergrund seines übri gen Schaffens durchaus als eine eigene Gattung ansprechen. Gewiss stehen sie seinen mo numentalen Leinwandbildern näher als den Zeichnungen.Wie auch immer: Ihre Eigentüm lichkeiten rechtfertigen einen fokussierten Blick. Schon früh hat Mikl begonnen auf Karton zu malen, wobei diese Arbeiten, verglichen mit den großen, sozusagen offiziellen Leinwandbildern, einen privateren Charakter haben. Aus dieser Privatheit, die auch größere Freiheit bedeutet, lässt sich erklären, dass keine andere Gruppe in Mikls Schaffen so reich an Varianten ist, wie seine Arbeiten auf Papier.
Mit den abstrakten Kompositionen (vgl. Zwei Figuren mit Scheibe 1992/93 oder Blaue Berge 1992/93) steht er seinen Leinwandbildern am nächsten. So wie diese wirken sie unabhängig von ihren absoluten Maßen monumental. Die Bewegung der Hand schafft kurvige Bahnen, die sich mit der Spannkraft von Stahlfedern gegeneinander stemmen und der Komposition Vitalität verleihen. Mit wenigen leuchtenden Farben – Rot und Blau, gelegentlich auch Gelb Orange – die an Trompetentöne erinnern – erreicht Mikl den Effekt eines großen Orchesters. Verglichen damit zeichnen sich die anderen Werke auf Papier – und das ist die Mehrzahl – durch eine lyrisch zurückhaltende Farbigkeit aus. Kammermusik im Gegensatz zum Orchester klang. In den meisten Fällen, handelt es sich dabei um Stillleben, die allerdings so gar nicht in die Tra dition des europäischen Stilllebens passen. Mikl bevorzugt Objekte, die den Eindruck erwecken, er hätte sie zufällig „bei der Hand“ gehabt: eine Lockente (1980) eine Bischofsfigur (1983), Ted dybären (1984), Zinnsoldaten (1973), aber auch Essbares, wie eine Kartoffel, einen Laib Brot oder einen Kürbis (1980/81) – in sich gerundete volumsbetonte Gebilde. Im Gesamten also ein sehr persönliches und unprätentiöses Reper- toire. Persönlich auch deshalb, weil er die Dinge so kombiniert, wie man sie in der Wirklichkeit kaum miteinander anzutreffen erwartet: eine Holzfigur mit Brot (1981), eine Schüssel und Holz spielzeug (1981) oder Tulpen und Papiersäcke (1974). Auch Erdäpfel und Grapefuit (1977) sind eine kulinarisch nicht gerade überzeugende Kombination. Derartige Zusammenstellungen machen erst Sinn im Blick auf das gemalte Re sultat. Josef Mikl hat sich stets dagegen gewehrt als Abstrakter apostrophiert zu werden. Schon früh verweisen viele Bilder, die man gemeinhin als abstrakt bezeichnen würde, wenigstens im Titel auf eine Herkunft aus dem Gegenständlichen: Ebene, Liegender Akt, Büste, Kopf u.s.w. Er hat das auch ausgesprochen: „In der Natur liegt der An fang. Sie ist die große Lehrmeisterin, selbst in ihrem Jammerzustand. Zu ihr kommt die Erfindergabe“ Vor dem Hintergrund der zeitgleichen öster- reichischen Malerei – man denke an Mikls Künstlerkollegen der ersten Stunde wie Markus Prachenski oder Wolfgang Hollegha - mag dieses Bekenntnis zur Wirklichkeit als ungewohnt erscheinen, fast wie eine persönliche Obsession, oder als ein exzentrisches Aus der-Reihe-Tanzen. Die Generation, die mit der abstrakten Malerei groß geworden ist, hat in ihr den Königsweg in die Zukunft gesehen. Ein Irrtum! – wie ein Blick auf die Malerei des späteren 20. Jahrhunderts lehrt. Wirklichkeit und Abstraktion schließen einander nicht notwendigerweise aus. Um nur einen Künstler zu nennen: Nicolas de Staël, der als Abstrakter begonnen hat, bezieht in den letzten Jahren sei nes Lebens die Wirklichkeit in seine Malerei ein. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Grün dungsväter der Abstraktion mit gegenständ licher Malerei begonnen haben. Die frühesten abstrakten Bilder Kandinskys haben sich aus seinen Murnauer Landschaften entwickelt; auch bei Mondrian lässt sich das Werden seiner abstrakten Malerei in seinen Baumbildern beobachten. Aus den Darstellungen der Inter valle zwischen den Ästen werden Schritt für Schritt die charakteristischen, mondrianschen Rechtecke. Bei Mikl ist das generationsbedingt anders. Er beginnt abstrakt mit an Mondrian orientierten Bildern (viele von ihnen hat er später vernichtet), in denen man Fingerübungen für die spätere so meisterhafte Beherrschung der Bildfläche sehen könnte – oder umgekehrt: Vielleicht hat ihm sein angeborenes Proportionsgefühl die Entschei dung für die geomantischen Kompositionen nahe gelegt. Erst in den späten 60er-Jahren dringt Gegenständliches in seine Malerei ein. Vor dem Hintergrund seiner abstrakten Anfänge sieht es aus wie eine Grundsatzentscheidung, die sich ge rade in seinen Arbeiten auf Papier manifestiert. Vielleicht aber war der Drang zur Wirklichkeit in Mikl schon früher vorhanden und es mag ihm gar nicht so schwer gefallen sein, sie in seine Kunst einzubeziehen. Das Beeindruckende an Mikls Schaffen ist die Lebendigkeit seiner Entwicklung. Die Gefahr eines Erstarrens oder Festfahrens hat er nicht gekannt, schon gar nicht die des Nachlaufens irgendwelcher aktuellen Trends. Es gibt so et was wie einen Kern seiner Kunst, dem er stets neue Seiten abgewinnen konnte – und dazu zählt eben auch sein Bezug zur Wirklichkeit. Noch in seinen spätesten Werken tauchen Qualitäten auf, die bereits in früheren Arbeiten angelegt sind. Man könnte die Entwicklung Mikls als ein Suchen und Tasten verstehen, ein Suchen, das aber dennoch von innerer Sicherheit und Konse quenz getragen ist. Bei allen Wandlungen ist er stets er selbst geblieben, ja, im Lauf seines Schaffens immer mehr er selbst geworden. Auch in seinen Stillleben lassen sich diese Wandlungen beobachten. In den meisten Arbeiten der 70er-Jahre lassen sich die dar gestellten Objekte noch problemlos erkennen: Blumen (1975), Kürbisse (1980/81) oder Lachs schnitten (1977), bei den Zuckerrüben (1973) oder den Parasolpilzen (1975) fällt es schon schwerer. In den 80er-Jahren entfernt sich Mikl von der äu ßeren Erscheinung oft so weit, dass das Objekt als solches kaum noch zu erkennen ist. Bei den Zinnsoldaten, wäre es ohne die Bildtitel kaum möglich, zu erraten was dargestellt ist – lediglich seine Struktur geht als ordnendes Element in das Bild ein. Das Ergebnis ist eine Interaktion von For men und Farben, wie sie eben nur im Medium der Malerei ausdrückbar ist. Wirklichkeit wird zur Abstraktion. Es ist lehrreich den Blick auf einen Künstler zu lenken, in dessen Schaffen Abstraktes und Wirklichkeit ebenfalls eine große Rolle spielen: Gerhard Richter. Bei ihm werden die beiden Möglichkeiten scharf voneinander getrennt. Es ist als ob er auf einen Lichtschalter drückt, um je nachdem gegenständlich oder abstrakt zu malen. Das eine hat bei ihm mit dem anderen nichts zu tun.
Bei Mikl durchdringen einander die Möglich keiten im Sinn eines gegenseitigen Sich-Be fruchtens. Das wird bei einem Stillleben wie den Parasolpilzen (1975) oder bei der Serie mit den Montierten Walzen (1982), deutlich, die uns ohne die Beschriftung hilflos lassen würde. Mikl nimmt die Wirklichkeit lediglich zum Anlass, sie in eindrucksvolle (fast schon) abstrakte Bild motive zu übersetzen, Das Erkennen bleibt Nebensache. Ähnliches gilt beim Kessel (1982) wo Gegenständliches und Abstraktes wie selbst verständlich koexistieren. Die Wirklichkeit wird für ihn Inspiration zu neuem bildhaftem Gestalten. Mit den Objekten verschafft er sich die Motive, die ihn zu neuen Formkonstel lationen anregen. Sein Ziel ist das Ergebnis, die Motive sind Ausgangspunkt. Es wäre falsch anzunehmen, hinter der Auswahl der Objekte stünde ein bestimmtes Programm, es sei denn man begnügt sich damit, in ihnen ein Bekenntnis zum Einfachen und Unprätentiösen zu sehen. Am ehesten kann man an Cézanne denken, in dessen Stillleben die „Hauptdarsteller“ eben falls dem „niedrigen“ Genre angehören: Äpfel, ein Milchkrug, Zwiebel, Früchte. Im Gegensatz zu Cézanne und den meisten Stillleben des 20. Jahrhunderts, existieren bei Mikl die Objekte nicht in einem mehr oder weniger perspektivisch korrekt wiedergegebenen Raum, sondern unmittelbar auf der weißen, bzw. mit einer meist blassen Farbe eingestrichenen Fläche des Kartons. Raum schaffen sich die Objekte durch ihr Volumen. In dem Farben- Gefäss und Grapefrüchten (1975) oder in den Apothekergefässen (1981) läßt die Körperlichkeit der dargesteltten Gegenstände den in deren un mittelbaren Nähe befindlichen Grund zum Raum werden, aber bei größerer Entfernung holt sich die Fläche ihre Herrschaft zurück. Das Zeichnerische ist eine durchgehende Qualität der Kunst Mikls. Seiner Kunst kann man sich ebenso gut über die Zeichnung wie über die Malerei nähern. Ein Bildband über die Kunst Mikls würde ohne seine Zeichnungen nicht auskommen. Und gerade Bildträger wie Kar ton oder Papier verlocken mehr noch als die Leinwand zu graphischer Gestaltung. Die Köpfe (1971) könnte man ohne weiteres als eine Pinselzeichnung, schwarz auf orangerotem Grund klassifizieren, ebenso die Büste in Blau (1963), als eine von energischem Duktus geprägte Graphik. Die Übergänge von der Zeichnung zur Malerei sind fließend. So gesehen ist es auch kein Wunder, wenn Mikl es liebt Malerei und Graphik zu kombinieren – und dies ganz besonders in seinen Arbeiten auf Papier. In den Zuckerrüben (1973) stellt er die Feldfrüchte durch breit hingestrichene, schmutzig-ockergelbe Flächen dar, in die er die beschatteten Partien mit graphischen Schraffuren hineinarbeitet. Bei einigen Stillleben, wie den Lachsschnitten (1977), zeichnet er den Teller mit dem Pinsel mit virtuoser Exakt heit als ein perfektes Oval. Ein weiters Spezifikum der Arbeiten auf Papier ist der Einsatz des Graphitstiftes. Auch wenn die Farbe dominiert, bereichert er seine Bilder gelegentlich mit zeichnerischen Mitteln. Es gibt zahlreiche Blätter, die ohne den Einsatz des Graphitstiftes nicht auskommen würden. Und umgekehrt – im fließenden Übergang – akzentuiert er auch Zeichnungen mit kräftigen Farben, wobei sich Farbe und Zeichnung gegenseitig durchdringen und ergänzen. Werner Hofmanns Bemerkungen über die Bedeutung der Handzeichnung für die Durch setzung des Skizzenhaften in der Malerei, sind genau in der Zeit (1960) entstanden, in der er mit Mikl in engem Kontakt stand und können als treffende Beschreibung des engen Verhältnisses zwischen Zeichnung und Malerei bei Mikl dienen. (Fischer Lexikon, Bildende Kunst, Bd. III, Frankfurt 1961, S. 132) „Die Handzeichnung ist eines der ersten Doku- mente der Hinwendung der europäischen Malerei zum skizzenhaften, unfertigen Ausdruck. Diese Bevorzugung der „offenen“ Handschrift hat schließlich dazu geführt, dass heute der Unter schied zwischen Skizze und Ausführung, Präfi guration und Figuration verschwindet, dass es ….. oft keine zuverlässige Grenzlinie zwischen beiden Phasen mehr gibt.“ Im Lauf seines Lebens verändert Mikl natürlich seinen Stil. Trotz allem unterwirft er sich nicht einem Stilzwang. Er bewahrt sich die Freiheit aus den Gleisen des jeweiligen Stils auszubre chen. Das gilt ganz besonders für seine Arbeiten auf Papier. Selbst innerhalb eines Bildes können gegenständliche Motive und abstrakte Grafis men, um nicht zu sagen sein virtuoses abstraktes Gekritzel, wie selbstverständlich nebeneinander stehen (Kessel 1982). Mikl gehört, wie die meisten seiner Zeitgenossen, zu jenen Künstlern, die ohne Vorbereitung spontan auf dem Papier oder der Leinwand arbeiten. Sie setzen zum entscheiden den Sprung an, wenn sie mit der Arbeit beginnen – das Ergebnis ist offen und das Risiko liegt noch vor ihnen. Damit wird jedes Werk zum Wagnis, ein Scheitern wird akzeptiert. Damit verzichtet der Künstler auf die Sicherheit des Kunstgewerbli chen. Das spontane Arbeiten kann zu unvorher gesehenen Ergebnissen führen. Mikl versteht es, sich den Zufall zunutze zu machen ohne sich ihm auszuliefern Spontaneität und Gestaltungssicherheit gehen Hand in Hand. Seine Kunst ist geprägt durch das Zusammenspiel von Zufällig-Spontanem und strenger Kontrolle. So wie ein Dirigent wäh rend des Dirigierens auf sein Orchester hört und in Zeitbruchteilen darauf reagiert, „horcht“ auch Mikl auf seine zeichnende oder malende Hand. Er geht auf sie ein, bejahend und korrigierend zugleich. Damit wird der Zufall zum Stimulans für den schöpferischen Einfall. In vielen seiner Arbeiten auf Papier lässt er sei ne Vorliebe für große leere Flächen zu. Er lässt sie nicht nur zu, sondern bezieht sie in die Ge staltung mit ein. Und darin zeigt sich eine nahe zu traumwandlerische Sicherheit die Bildflächen zu beherrschen. Auch in der Leinwandmalerei arbeitet er gelegentlich mit leeren Flächen, die in seinen Kompositionen den gleichen Stellenwert wie die Farbflächen haben. Offenbar hat er Erfah rungen, die er zunächst in der Malerei auf Papier gemacht hat, in seine monumentale Leinwand- bilder übernommen. Farbige Motive und leerer Grund werden zu Gegenspielern und verleihen seinen Bildern eine spannungserfüllte Monu mentalität. Mikl ist sich sein ganzes Schaffen hindurch treu geblieben. Treu nicht im Sinn von Festhalten einer einmal gefundenen Formel, sondern treu in dem Sinn, dass es eine Reihe von Grundpositionen seiner Kunst gibt, die ein Spannungsfeld bezeich nen, innerhalb dessen sich sein Schaffen be wegt. Man könnte die Entwicklung Mikls als ein Suchen und Tasten verstehen, eines Suchen, das aber dennoch von einer inneren Sicherheit und Konsequenz getragen ist und bei dem ihm die Freiheiten, die ihm die Arbeiten auf Papier erlaubten, ein wertvoller Stimulus waren. H.W. Auden hat einmal von „the soil side and the gardener side“ in einem Künstler gesprochen, vom fruchtbaren Boden also und dessen Pflege durch den Gärtner. Damit sind zwei wesentliche Aspekte des schöpferischen Prozesses bezeich net. Der fruchtbare Boden, also die Begabung, ist das Wichtigste – und über die hat Josef Mikl in reichem Maß verfügt. Bei Mikl bildet das Wechselspiel zwischen dem Spontan-Unbe- wussten seiner Begabung und dem Eingreifen seines kritischen Urteils einen Grundzug des Schaffens: die freie Entfaltung des Intuitiven in der souveränen Beherrschung des Handwerklichen, kontrolliert durch ein sensibles und unbestechli ches Auge. Er war durchaus bereit, Bilder die bei ihm keine Gnade gefunden haben, zu vernichten. Mikl ist durchaus bereit sich in die gefährliche Nähe des Chaos zu begeben, um sich dann in souveräner Weise aus der Gefahr zu retten. Die Risikobereitschaft Mikls zeigt sich darin, dass viele seiner Bilder auf den ersten Blick durch aus chaotisch anmuten können. Allerdings klärt sich bei geduldigem Hinsehen der Eindruck. Und gerade das verleiht seinen Bildern Spannung und Lebendigkeit. Wie gesagt, hinter Mikls Kunst stecken Haltung, Ernst, Konsequenz – Eigenschaften die letzt lich zur Aktualität seiner Kunst beitragen – und letztlich etwas, was jenseits jeglichen äußeren Einflusses steht und was sich mit Begriffen wie Begabung und Genie nur andeuten lässt: sein ganz persönlicher und unverwechselbarer Stil. Nirgendwo offenbart sich die Spannweite seiner Kunst so deutlich wie in seinen Arbeiten auf Papier. In ihnen begegnen wir alle Aspekte seiner Kunst, vom Abstrakten bis zum Stillleben.