Josef Mikl, Vom guten Bildersammler Breicha, 1991

 

Sicher gibt es viele Bildersammlungen auf dieser Welt.

Wenige von ihnen besitzen Qualität.

Warum ist das so?

Ungezählte Malerinnen und Maler arbeiten, es herrscht kein Mangel.

Bilder gibt es genug.

Liegt es an der Einstellung?

Hat nicht der gebildete Käufer, anders als die vielen, die ihre Wände bloß bedecken wollen - Opfer der Rahmenindustrie -, hat nicht dieser Gebildete bereits bessere Einsichten als andere?

Unternimmt er keine Reisen, kennt er New York nicht, Frankfurt, London, Kopenhagen - besucht er keine Galerien, keine Museen?

Er tut es, aber was er tut, zerstreut, es führt zu keiner rechten Sammlung.

Er besitzt die Gabe des guten Sammlers nicht.

Kann man diese Gabe unterrichten, kann diese Begabung weitergegeben werden, kann man sie vererben?

Sind die Kinder wie die Eltern?

Die Geschichte spricht dagegen.

Viele Berufe bilden Familientraditionen aus, der auserwählte Bilderliebhaber steht allein.

Der gute Sammler also, wenn er ohne Mittel beginnt - üblicherweise verfügt er über wenige Mittel -, ist jung, sehr jung, er fängt klein an, er nimmt sich von seiner kleinen Zeit einen großen Teil Zeit, so wichtig erscheint ihm bereits am Anfang die Sache.

Er unterrichtet sich selbst im Schauen, denn durch das Schauen kommt das Begreifen und das Verstehen, das weiß er ganz sicher.

Auch der Säugling weiß das für eine Weile, der Intellektuelle hat verlernt und vergessen, und er lernt nicht wieder, was er vergessen hat. Stile, Richtungen, Theorien, diese komplizierten Einrichtungen der Kunstwelt, fesseln den guten Sammler nicht.

Er weiß, daß sich die Malerei jeweils nur in eine Richtung bewegt, hin zur Wahrheit.

Dieser einfachen Richtung folgt er.

Ohne Hilfe, allein mit seiner Begabung, mit seinem Urteil.

Ohne Hinweise in Kunstheften zu lesen - die lesen die Einfältigen -, findet er unbekannte Malerei-persönlichkeiten.

Seine Arbeit ist Detektivarbeit, anstrengend, aber spannend, die Unterhaltung des Bilderlieb-habers seit vielen Jahrhunderten.

Bis auf den heutigen Tag ist sie seine Unterhaltung geblieben.

Der gute Sammler hat keine Eile, seine Gabe zwingt ihn zur Ruhe, zur Beschäftigung mit den Bildern von Jungen, von Alten, von Unbekannten, von Toten, mit Bildern, die kein Modejournal gedruckt, kein Kritiker gelobt hat.

Bei seiner Suche findet er sie heutzutage unter den immer höher und größer werdenden Kunstmisthaufen.

Alles, was scheint, was scheinbar ist, was glänzt, ins Auge fällt, den Blick trübt, was zu leicht ist, läßt er liegen.

Er braucht dazu keine Scheinwerfer, Leuchtstoffröhren sind für die Farbenblinden, ein gutes Bild leuchtet von selbst, das wissen seine begabten Augen.

Der gute Sammler liest nicht zufällig die besseren Bücher und hört nicht zufällig die bessere Musik.

Er lernt nicht ohne Grund bei den klugen Denkern, auch dieser Anstrengung unterzieht er sich.

Er vermeidet den Schund eben überall, so ist er.

 

 

Josef Mikl: Vom guten Bildersammler. [Im ursprünglichen Titel ohne den Namenszusatz, weil Otto Breicha damals nicht genannt werden wollte.] In: Josef Mikl (Hrsg.): Standpünktlich. Die eine und die andere Natur (aus den Beständen einer Privatsammlung). Wien, 1991, o. P. (Ausstellungskatalog im Rahmen der Meisterschule für Naturstudien Prof. Josef Mikl an der Akademie der bildenden Künste Wien).

Und in:

Josef Mikl, Brigitte Bruckner (Hrsg.), Josef Mikl, Arbeiten 1997 - 2008, Wien 2009, S 95